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Ein Weihnachtsprotokoll der AK 65

(js) Es lag so ruhig und friedlich da. Das schmucke Hofgut rüstete sich ein letztes Mal vor dem anstehenden Winterschlaf. Leichter Schneefall war angesagt, feinen Sprühregen vorausschickend. Die Fenster leuchteten hellund einladend, der Rauch stieg aus dem Kamin in den Freitagabendhimmel, wohlige Wärme verheißend. Es lag der Duft von Lebkuchen und Maronen in der Luft, nur das Rentiergeläut fehlte. 

Aus allen Ecken pirschte sich jeder von der Ligasaison übriggebliebene AK-65-Golfer heran, freudig die Nasean die Butzenscheiben drückend, ob schon angerichtet war für das große Saisonabschlusstreffen.

Der Bericht der Sitzung fällt kurz aus. Der angestrebte Aufstieg wurde vermasselt. Das war wenig erfreulich, gemessen an Anspruch und Möglichkeit. Training wird noch nicht aufgegeben. Der Übungsbetrieb wird 2022 zwischen Schwungeinweisung und Platzbewältigung neu sortiert. Die Kapitänswahl fiel erwartungsgemäßaus. Mit großem Dank der Mannschaft wurde in Kontinuität Michael Luh einstimmig für ein weiteres Jahr wiedergewählt. Die spielerischen Aussichten dagegen sind wenig verheißungsvoll. Das Problem: Von unten kommt nichts nach und oben wird es eng. Ziel also: Mit Ligaerhalt durch das kommende Jahr durchwurschteln und auf bessere Zeiten und spielstarken Nachwuchs aus unteren Jahrgängen für die Oberklasse hoffen. 

Protokollnotiz

Das war es. Für den schnellen Leser. Doch es war natürlich nicht alles. In der bauchigen Akustik des Parkrestaurants musste man genau hinhören, um alles mitzubekommen. Das gelang wenigen. 

Uns wurde jedoch das Sitzungsprotokoll zugespielt. Für alle, die gerne hinter die Kulissen schauen, ist hier das wahre Leben protokolliert. Alles hat sich so oder so ähnlich abgespielt, vielleicht auch ganz anders. Die Verantwortung übernimmt kein Kapitän und kein Club, sondern liegt allein beim Schreiber.

Nun also zum jüngsten Zugang im Winneröder-Leak-Archiv. Wir warnen vorab junge Seelen vor der Lektüre, fühlen uns aber auch verpflichtet, niemandem vor der wirklichen Wirklichkeit zu verschonen. Hier die ganze Geschichte.

Das Institut der Saison– und Selbstkritik

Die Sitzungseröffnung gelang mit einem Paukenschlag. Der Captain erhob das Wort über sich. Er, der kleine Captain, er wolle sich da nicht größer machen als er sei,wolle mal noch nüchtern aus dem Reich der Mitte der Saison deren Verlauf und Erfolg, man müsse eher von Misserfolg reden, realistisch einschätzen, bevor man in der Tagesordnung zu weit fortgeschritten sei. Er beabsichtige mit gründlicher Vorbereitung, das ganze Dilemma in einem Satz auf den Punkt zu bringen. Das geschehe überhaupt und insgesamt zu wenig. Es sei eigentlich ein Gebot der Zeit, die Konfrontation mit sich selbst. Damit hob er an und versetzte die Anwesenden in schönste Vorfreude. Was zur Jahreszeit passte. 

Als Captain zeige er sich über das Saisonergebnis ehrlich enttäuscht. Damit könne er sich auch heute, also Monate später noch nicht hinter dem Berg an der Eins zurückhalten, er habe immer darauf Wert gelegt, dass alle sich ins Zeug legen, er habe das auch immer wieder gesagt, damit es alle hören, auch denen, denen es mittlerweile schwerer falle, und wenn das wirklich passiert wäre, was der Projektplan hätte hergeben können, stünde man heute nicht da, wo man nun stehe, sondern woanders, ohne Zweifel besser und zwar um Klassen, mindestens um eine Klasse höher nämlich. 

Dem mochte niemand öffentlich widersprechen. Die Blicke kreisten verlegen. 

Der Captain fuhr in seinem Satz fort. Er, der Captain, habe als Captain immer wieder gemahnt, ja geradezu gefleht, dass es bei jedem Spiel von jedem bitteschön mindestens so 16 bis 18 Bruttonüsse brauche, um die obere Liga zu knacken, er kenne sich mit Nüssen aus, sonst könne man gleich zuhause bleiben, und mit Enttäuschung habe er bei allen Auswärtsspielen an den Schlusslöchern immer wieder widerstrebend ernüchternde Zahlen notieren müssen, die die schlimmsten Befürchtungen weckten, nicht, dass er das hätte persönlich nehmen wollen, aber, er wiederhole sich, die Enttäuschung zehre noch Monate später, also heute, an ihm, er komme schon ohne blutdrucksenkende Mittel aus, so ernüchternd bringe ihn die Realität auf den Boden der Tatsachen, er schrecke nächtens noch aus Träumen hoch, den Satz ausrufend „Dann bleibt doch beim Netto“, was langsam auch seine Frau nerve, er würde sich dadurch aber seine Freude am Bruttospiel nicht von sowas wegnehmen lassen, solange er im Amt sei, würde er seiner Linie treu bleiben, ein Golferleben sei nur mit Brutto lebenswert, daran gehe nun mal kein Schlag vorbei und was das unverständliche WHS-System sage, sei ihm und vor der Golfgeschichte schlussendlich egal, abgerechnet werde immer zum Schluss, was hinten rauskomme sei wichtig, und das sei in diesem Jahr für den Aufstieg einfach zu wenig und für den Abstieg dann doch zu viel gewesen, also eigentlich nix.

Der Satz saß. Es breitete sich ein betretenes Schweigen aus. Schonungslos lag die Lage nackt auf dem Tisch und fror. 

Zaghaft setzte der mit allen Wassern gewaschene Gerd an. Er, der Captain, habe nicht ganz Unrecht. Man müsse auf Mannschaftsseite schon Lieferschwierigkeiten einräumen. Man müsse aber auch sehen, dass das im globalen Zusammenhang stünde. Wenn er dafür auch nicht die pandemische Lage verantwortlich machen wolle. Er könne nur für sich sagen, aber er spreche sicher auch für Viele seines Alters, von denen es in der Mannschaft ja einige gäbe, die Bruttonüsse, um im Bild zu bleiben, lägen nicht mehr so zahlreich hinter jedem Grün herum wie früher, wo ja durchaus auch vieles verklärt worden sei. Abgesehen davon, dass das Bücken zunehmend nicht mehr so leicht falle. Auch der Klimawandel, mit dem er sich gerade anzufreunden beginne, was noch nicht ganz gelungen sei, wie er zugebe, tue ein weiteres dazu, wenn in dieser versicherungsschädigenden Saison der zunehmenden Stürme, der ein und andere Abschlag, schneller als einem lieb war, vom Winde verweht worden sei. Konstanz sei so nicht mehr quasi naturgegeben im Spiel verankert. Das sei auch beim Wetter so. Konstanz müsse man sich jedes Mal hart erkämpfen gegen die Unbilden der wiedererstarkten Natur und in widerwilliger Partnerschaft mit dem inneren Schweinehund. Er wolle damit gar nichts entschuldigen. Aber auch das gehöre zur Wahrheit. 

Der Schreiber des Protokolls wurde angewiesen, zu notieren, dass das einem Faktencheck unterzogen werden sollte, der dann im Frühjahr nochmal aufgerufen werde. 

Das mache man doch alles nicht absichtlich. Er redete sich jetzt in Rage. Außerdem verderbe ihm bereits die Erwartung, dass er doch bitteschön nicht ohne achtzehn Bruttopunkte im Clubhaus auftauchen solle, schon seine eigene Erwartung auf einen schönen Spieltag. Da gerate schnell ein einfach hinterhergehauchtes „Schönes Spiel“ schon zur inneren Vorhersage absehbarer Kalamitäten. Für die schließlich so ein Rough oder Topfbunker auch nichts könne, schon gar nicht zur Verantwortung zu ziehen sei. Da würden ja sogar Cartfahrer mit G-Schein schon bei der Rundenabfahrt ins Schlingern geraten. Klar, dass da unterwegs dann Nüsse umherlägen, die nicht so ohne weiteres selbst für einen kampferprobtenSenior zu knacken seien. Da blieben schon einige Nüsseauf der Strecke, die man lieber auf seiner Scorecard gesehen hätte. Man würde doch als Spieler alles Menschenmögliche versuchen. Aber das reiche halt nicht immer, wie ja auch die Politik zeige. Spieler und Mensch sind nicht immer deckungsgleich. Er als Pädagoge sei ja ein Mann des Vorschlags zum Guten. Und er schlage vor, dem HGV eine Verdoppelung der Spieltage vorzuschlagen. Dann habe jeder eine zweite Chance. Die er einfach verdiene, wenn nicht gar benötige. Das sei nur fair.

Das rief den rechtlich beschlagenen Reinhold aus dem Wachkoma. Er ging zur Garderobe, warf die schwarze Robe über, presste den Zigarettenrauchaus der Lungeund dozierte: Einwand, Euer Ehren. Die Verdopplung sei unter dem Gesichtspunkt der Risikominimierung – und man wolle doch den Aufstieg, die Paragraphen könne er nachreichen – keine gute Idee. Ganz im Gegenteil müsse man die Argumente für eine Halbierung der Spieltage auflisten. Ihm fielen da ad hoc mehrere schlagende ein, das würde aber jetzt nur verwirren. Entscheidend sei, dass man damit aktiv das Risiko für Fehlschläge der gegnerischen Mannschaften erhöhen könne. Die Chance, dass der Gegner einen schlechten Tag erwische, steige. Man käme also aus der Passivrolle heraus und trete in die gestalterische Phase des Golfmanagements ein. Man selbst habe dann auch weniger Erwartungsdruck auszuhalten, da alles schneller vorbei sei. Unter Risikogesichtspunkten also, wie er nach einer effektvollen Kunstpause triumphierend hinzufügte, mindestens um fast fünfzig Prozent. Das gab allen zu denken.

Kurt, der sein Leben für Recht und Ordnung gesprochen hatte, pflichtete bei: Unzumutbar eigentlich. Unverständlich, warum man sich das antue. Er für sein Altenteil, wolle das so nicht mehr. Er stehe gerne ersatzmäßig weiter bereit. Aber zwischendrin könne er sich setzen. Da leiste er auch Hervorragendes. Das habe er sich in seiner aktiven Handballerzeit und dann später in der Tenniskarriere, immerhin Hessenliga, das war damals noch was, heute ginge ja nichts mehr unter Champions League, oft genug bewiesen. Beweise seien für ihn nach dem Ausscheiden aus dem Polizeidienst jetzt kein Thema mehr. Damit hätte er abgeschlossen. Im Übrigen schmecke die Gans gut, noch einen Merlot bitte, und Weihnachten sei das Fest der Liebe. Das habe er immer gesagt und das lebe er sich nach wie vor vor, auf dem Platz, aber auch daneben. 

Damit hatte er die Rechnung ohne den bis dahin in sich ruhenden Hans-Peter gebucht. Der kämpfte sich zum Wort und verwies auf die oberhessische Tradition, die dann auch von anderen Landsmannschaften übernommen worden sei, dass man die Kirche doch bitte im Dorf lassen solle. Damit meine er nicht nur Winnerod. Gut, in absehbarer Zeit müsse man auch auf andere Gotteshäuser verweisen, noch aber rede er bewusst vom Kirchenschiff. Da habe er auch grade wieder bei seiner kürzlichen Griechenlandreise davon schwärmen können, wie beruhigend doch diese alten Gemäuer auf das vorchristliche Gemüt wirkten. Das würde er auch hier empfehlen. Mal in sich gehen und die gotische Klarheit auch annehmen, nicht drum herum reden. Dann als Tempelritter auf den Platz gehen und die anderen weghauen. So einfach sei das. Was sonst so passiere, könne man sowieso nicht beeinflussen, wolle er auch nicht kommentieren, zumindest heute Abend nicht. Für Risiko sei er schon immer gewesen. Wenn der Captain sagt, das wolle er gerne aufgreifen, die Spieler sollten sich mehr „ins Zeug legen“, frage er, was das denn für ein „Zeug“ sein soll. Das Missverständnis mit „im Golfzeug hinlegen“ liege da gefährlich nah beieinander. Inaktiv zu sein aber könne man sich in Zeiten des politischen Aufbruchs nicht leisten. Er wolle es mal so sagen, er habe als langjähriger Captain diverser Mannschaften gute Erfahrung damit gemacht, wenn er vertrauensvoll mit auf den Weg gegeben habe,alle sollten sich „am Riemen reißen“. Sofern da Riemen unterwegs waren, hätten sich eigentlich auch immer alle daran gehalten, sei es nur festgehalten. Und außerdem sei nach dem Spiel immer vor dem Spiel. Das hätte der alte Herberger. Das könne ihnen ja schließlich auch kein Regierungswechsel nehmen. Aufbruch hin oder her. Punkt.

Das war das Stichwort für den spielfreudigen Herbert. Die Wahrheit läge eindeutig auf dem Platz. Wer Bewegung wolle, sei auf der Driving Range durchaus richtig. Er wolle gar nichts gegen die Driving Range sagen. Aber ein Freund der Range sei er nie gewesen und werde er auch nicht mehr werden. Da würde so viel falsch laufen, dass das nichts mehr bringe. Gerade im fortgeschrittenen Alter. Bewegung würde zwar oft unterschätzt, jedoch auch schnell überschätzt. Deshalb plädiere er für Spiel nähe auf dem Platz. Das sage er nicht einfach so, sondern aus Erfahrung. Man müsse den Platz mit seinen eigenen Mitteln schlagen. Mit Platzkenntnis nämlich. Jeder Quadratzentimeter könne trainiert werden. Die Situation und die Balllage mache es. Beim Wein achte man schließlich auch auf die Lage. Exkursionen ins Rough, das wär’s, die Bunker leider seien ja in Winnerod nicht so tief. Außerdem sowieso reines Glücksspiel. Für Bunkertraining müsse man mal irgendwohin fahren, an die Küste oder so, wo es wirklich noch Sand gäbe. 

Ja, Sand sei ein leidiges Thema, schaltete sich der Neurentner Stephan ein. Sand im Getriebe, das sei schon hinderlich. Vor allem, wenn es im eigenen Kopf reibe. Nicht, dass er falsch verstanden werde. Er meine die Einstellung. Alles im Leben, das habe ihm das Leben selbst gezeigt, sei eine Frage der Einstellung. Und wenn der Sand beim Golfspiel nicht das Wedge reibe, sondern als hinderliche Partikel im Kopf jeden freudvollen Schwunggedanken geradezu wegschmirgele, dann müsse man  die mentale Justierung ernster nehmen. Er setze sich für ein mentales Training ein, das hohler im Kopf mache. Nicht dass er missverstanden werde, er meine ein Training, dass den Weg frei mache zum intuitiven Schwung. Ballast abwerfen, jünger, ja überschwänglicher schwingen, das wäre ein erfolgversprechender Ansatz aus der Sackgasse über 65rauszukommen. Das sehe man ja auch bei der Volksbankwerbung. Er wolle den Headpro darauf mal ansprechen. 

Dieser Hinweis auf die innere Natur des Menschen erdete. Die Jetztzeit brach zu später Stunde herein. Mit all seinen Laborkenntnissen rief Martin zum Abschluss in Erinnerung, wie wichtig doch ein gelingendes Zusammenspiel von innerer und äußerer Natur sei. Er, der sich ein Leben lang mit morphometrischen und histologischen Kriterien kolorektaler Karzinome beschäftigt habe, könne beurteilen, wohin der Blick ins Detail führe. Ziemlich nah ran und tief rein. Der Blick in die innere Struktur von Zellen sei ohne Zweifel von herausragender Bedeutung und hätte großes Erkenntnispotenzial. Aber auch die Übersicht hätte was. Auch die werde oft unterschätzt. Quasi als Drohne seiner selbst den Überblick über das eigene Spiel behalten, könnte geradezu ein natürlicher Leistungsbooster sein. 

Die Mannschaftskollegen begriffen sofort, was er meinte, nickten zustimmend zur Überfliegerhypothese. Auch er käme seit seinem partiellen Abschied vom Mikroskop zunehmend natürlicher rüber, werde zum Prototyp der Natürlichkeit, wenn es so rasant weitergehe. Das rührte. Und führte dazu, an Wohltätigkeit zu denken, auch mal selbst was für den Platz zu tun. Der arme Platz, um den sich keiner so richtig kümmere. Weil er einfach da ist, ist er einfach da. Die Idee brach sich Bahn, eine Rotbuche, genannt auch Blutbuche, zu pflanzen. Die würde dann auch so ein kleines Seniorengolferchen überdauern, wahrscheinlichden Platz selbst: Konstanz durch Rotbuche. Das hatte was. Man phantasierte schnell in ganze Blutbuchenwälder hinein. Da war sie wieder, die Spielsehnsucht und der positive Spirit. Alle legten sich ins Zeug und mussten sich am Riemen reißen.

Die Gans verneigte sich und neigte sich dem Ende zu. Es gab noch eine kurze Abstimmung zu teambildenden Maßnahmen. Dabei wurde der Captain darin bestärkt, beim dienstäglichen Trainingsspiel nur ja nicht auf schwarze Kleidung zu verzichten. Denn auf die Feststellung „Du bist ja heute ganz in schwarz gekleidet“, war die motivierendste Antwort der deutschen Golfgeschichte: „ Ja,…wenn ich mit Euch spiele.“

Damit schloss die Sitzung. Das Protokoll auch. Schöne Weihnachten.

Ein Gedanke zu „Ein Weihnachtsprotokoll der AK 65“

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